Ryszard Pilujski

Ryszard Pilujski, geb. 1925 (Zwangsarbeiter bei Kugelfischer in Landeshut in Schlesien) schrieb uns am 15. Februar 2001:

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1944 (im alter von 19 Jahren) haben mich SD-Funktionäre und Polizei mit meinem Vater, Mutter und Schwester Irene zusammen verhaftet und ins örtliche Polizeigefängnis gebracht. Nach einer Woche Gefängnis hat man meine Mutter und meine Schwester ins Konzentrationslager Ravensbrück transportiert. Später sind sie dann ins KZ Buchenwald gekommen und waren dort bis zum Ende des Krieges. Sie haben dort in einer Munitionsfabrik gearbeitet (Hasag Werke).

Mein Vater und ich waren Häftlinge in Groß-Rosen und Landeshut bis zum 8. April 1945. Wir haben ab dem 20. Juli 1944 in der Militärfabrik »Kugelfischer Schweinfurt Kommando Landeshut« gearbeitet.

In Folge der Verhaftung haben wir unseren gesamten Besitz verloren (wurde von den Deutschen konfisziert) Dies war eine 4-Zimmer-Wohnung, sämtliche Möbel, alle Nebengebäude, die Tiere, Geld, Wertsachen, Kleidung, Papiere.

Unsere Gesundheit wurde durch diese Arbeit ruiniert. Vor allem war ich noch jugendlich und hatte bereits eine Nierenkrankheit.

Für mich war eine große Hilfe, dass mein Vater auch in diesen Lagern war, da er eine medizinische Ausbildung hatte. Seine Hilfe und Betreuung hat mir die Arbeit trotz meiner Nierenerkrankung ermöglicht.

Bedanken möchte ich mich für Ihre Idee diese Initiative zu gründen, die sich für all diejenigen einsetzt, denen Unrecht im 3. Reich geschehen ist. Leider sind schon so viele Leidensgenossen mittlerweile verstorben.

Klaus Hofmann, veröffentlicht in »Schweinfurter Mainleite«, Heft 11, Juni 2008

Das kurze Leben der Zofia Malczyk

Am 21. März 2007 wurde in der Gustav-Adolf-Straße in Schweinfurt ein Gedenkstein als Denkzeichen, Mahnung und Erinnerung an Zofia Malczyk,eine junge polnische Zwangsarbeiterin, die am 21.März 1945 in Schweinfurt ermordet wurde, eingeweiht.

Schlüsse aus Vergangenheit ziehen
An die am 21. März 1945 ermordete Zofia Malczyk erinnert künftig ein Gedenkstein, der am 62. Todestag der damals 18-Jährigen Zwangsarbeiterin von Schülern des Bayernkollegs und der polnischen Konsulin Aneta Berdys enthüllt wurde. Dem bewegenden Zeremoniell am Tatort in der Gustav-Adolf-Straße wohnten zirka 250 Menschen bei.

Der frühere Vorsitzende von Care Deutschland, Willi Erl, führte durch die Feierstunde, der zahlreiche Stadträte aller Fraktionen, Vertreter der das Projekt unterstützenden zirka 15 Organisationen und vor allem viele junge Leute beiwohnten. Zofia Malczyk und ihr ungeborenes Kind seien »von nationalistischen Amtsträgern ohne jedes Recht« und – wie es auch auf dem Stein steht – »aus Anmaßung und Verblendung« ermordet worden, sagte Erl. Viele beklemmende Lebensverläufe seien vergessen, dank der im Fall Malczyks aufgedeckten Wahrheit »können wir aber durch Erinnern die Versöhnung einleiten.«

Die Konsulin der polnischen Botschaft, Aneta Berdys nannte Malczyks Schicksal keinen Einzelfall, zumal die Deportationen durch die Nazis ein »großer, planmäßiger Verbrechenskomplex waren«. Junge Frauen und Männer seien wahllos zusammengetrieben und ausgebeutet worden, »vieler Leben hatte keine Bedeutung«. Vergessen sei die einfache Lösung, aber die Weisheit der Menschen beruhe darauf, Schlüsse zu ziehen und die nächste Generation zu belehren. Der Gedenkstein trage dazu bei, dafür danke sie der Initiative gegen das Vergessen namens ihres Landes.

Menschenrechte unverzichtbar
Hauptredner Arnold Köpcke-Duttler (Marktbreit) erinnerte an die Tat der beiden Nazi-Polizisten, die Malczyk zum »Ort der Exekution« gegenüber dem heutigen Leopoldina-Krankenhaus »getrieben hatten«. Zur späteren Amnestierung der Mörder durch das Straffreiheitsgesetz von 1949 meinte der Diplom-Pädagoge und Rechtsanwalt, dass das Gesetz sich nicht eingelassen habe auf die notwendige Diskussion über das Unrecht. Nationalsozialistisches Recht sei kein unrichtiges, »sondern überhaupt kein Recht« gewesen.

In Viehwagen transportiert

Köpcke-Duttler erinnerte, dass die in Viehwagen transportierten Zwangsarbeiter »verwendet« wurden für den Krieg gegen die eigenen Landsleute. Sie seien wie »Untermenschen behandelt« worden. Noch heute beschäme ihn ein Merkblatt mit dem Titel »Überwachung fremdvölkischer Arbeitskräfte zur Begegnung volkspolitischer Gefahren«, das polnische Zwangsarbeiter wie Malczyk zur Kennzeichnung mit einem »P« zwang und jede »Tischgemeinschaft zwischen Deutschen und Polen« verbot. Das Ende des Albtraums, des Hungerns, der Ängste, der unmenschlichen Leiden, Schikanen und Demütigungen hatten Zofia Malczyk und ihr Kind, dem »kein Name gegeben werden konnte«, nicht mehr erleben dürfen wie der bei Kugelfischer zur Arbeit gezwungene Leonardo Calossi. Während dem Italiener die Rettung gelang, hätte es bei Zofia Malczyk nur anders sein können, »wäre ihr ein menschlicherer Mensch begegnet.« Danach rief Köpcke-Duttler »in Scham« zu einer Gedenkminute auf.

Vor der Enthüllung des von Bildhauer Marco Schraud (Thüngersheim) geschaffenen Steins durch Saba Ibrahim, Sebastian Arndt sowie Konsulin Berdys sprachen die Bayernkollegiaten »Gedanken«. An ihrer Stelle hätte zu jener Zeit »jeder von uns sein können«, sagte Ibrahim. Arndt nannte es wichtig, dass junge Leute wie er die nächste Generation »über die Gräuel informieren.« Schicksale wie das Zofia Malczyks dürften nie in Vergessenheit geraten, »das sind wir den Opfern schuldig«. Das Bayernkolleg übernimmt die Patenschaft über den Stein. Eine von der Initiative erstellte 50-seitige Broschüre über »Das kurze Leben der Zofia Malczyk« ist in der Disharmonie für 5 Euro erhältlich. Sie enthält ein Grußwort des Botschafters der Republik Polen, Marek Prawda: »Es ist sehr wichtig, an Geschichte zu erinnern, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen«.

Schweinfurter Tagblatt 23. März 2007, Hannes Helferich

Das kurze Leben der Zophia Malczyk

Logo Zophia MalczykKurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat ein Beamter der Kriminalpolizei Schweinfurt eine Zwangsarbeiterin aus Polen wegen angeblicher Plünderung in der Gustav-Adolf-Straße im Beisein eines Kollegen erschossen. Die Polizisten wurden nach langem Instanzenweg 1955 zwar des Totschlags für schuldig befunden, gingen dennoch straffrei aus. Der Fall der damals 19 Jahre jungen Sophie Malczik sorgte zwischen 1952 und 1955 für Schlagzeilen in der Main-Post und im Schweinfurter Tagblatt. Etliche ältere Schweinfurter erinnerten sich noch heute – teilweise sogar sehr detailliert. Die »Initiative gegen das Vergessen« stieß bei Recherchen auf das »Verfahren 416/1«, veröffentlicht im Band VIII. von »Justiz und NS-Verbrechen«.

In erster Instanz kommen die ehemaligen Polizisten O. (49) und P. (46) mit geringen Gefängnisstrafen davon, in der zweiten werden sie – wieder vom Schwurgericht Schweinfurt – sogar freigesprochen. Der Staatsanwalt bleibt hartnäckig, und dieses Mal beauftragt der Bundesgerichtshof das Schwurgericht Würzburg mit der Wiederholung.

Staatsanwalt Dr. Hopf fordert die erwartet hohen Zuchthausstrafen: Sechs Jahre für O., der die Polin erschossen hat, und drei Jahre für Begleiter P. Es hätte auch einen anderen Weg gegeben, um die angebliche Straftäterin zu stoppen, sagt Hopf im Plädoyer. Die Verteidiger verlangen Freispruch, für den Fall einer Verurteilung solle aber das so genannte Straffreiheitsgesetz angewendet werden. Das war 1954 zur »Bereinigung außergewöhnlicher Kriegs- und Nachkriegsereignisse« geschaffen worden.

Und tatsächlich geschieht es so: O. erhält drei Jahre, P. ein Jahr. Das Verfahren wird eingestellt, die ehemaligen Kriminalbeamten verlassen das Gericht als freie Männer. Es stehe zwar außer Zweifel, dass die Tötung der Polin »rechtswidrig gewesen ist«, die Strafe sei der Tat aber angemessen, weshalb das Straffreiheitsgesetz anzuwenden sei.

Sophie Malczik stammte aus dem polnischen Raschin bei Warschau. Sie wurde am 5. Mai 1926 geboren, war mit großer Wahrscheinlichkeit Zwangsarbeiterin; in welchem Unternehmen ist nicht bekannt. Mit dem Kriminalbeamten O., 1934 aus Nürnberg nach Schweinfurt versetzt, war sie erstmals am 1. März 1945 genau 20 Tage vor ihrer Erschießung zusammengetroffen.

Sie soll aus Wohnungen in der Bauschstraße »Gegenstände entwendet« haben, kam deshalb in Haft, wo ihre Schwangerschaft festgestellt wurde. Bei ihrer Ankunft am 8. März 1945 bei der Gestapo Würzburg sagt ein Beamter laut einem Gerichtstext: »Na, Mädchen, jetzt hast du dein Totenhemd an.«

Nach dem Großangriff auf Würzburg am 16. März 1945 kam es zu einer verhängnisvollen Begegnung von O. mit dem damaligen Kriminalrat. Wegen der zerstörten Würzburger Gefängnisse habe der Kriminalrat den Befehl gegeben, Kapitalverbrecher »an Ort und Stelle selbst zu erledigen«. Für O. war klar: die junge Polin hatte geplündert und darauf stand die Todesstrafe.

21. März 1945, ihr Todestag: Das Schwurgericht wird es später als erwiesen ansehen, dass O. auch von seinem Schweinfurter Vorgesetzten aufgefordert wurde, Malczik zu erschießen. »Gehen Sie mit«, sagte O. zur Inhaftierten ohne Angabe von Gründen. Er und P. führten die junge Polin vom Harmoniegebäude schließlich zur Gustav-Adolf-Straße. Als Malczik ihm dort den Rücken kehrte, zog O. seine Pistole und gab ohne Ankündigung zwei Schüsse auf den Hinterkopf der jungen Frau ab. Sie war sofort tot.

O. verfasste noch am gleichen Tag die falsche Mitteilung, dass sich die ledige Arbeiterin Sophie Malczik bei einer erneuten Festnahme am 21. März »im Besitze von Plünderungsgut« befunden habe und auf der Flucht erschossen worden sei.

Das Gericht kam trotz des späteren Urteils zu der erstaunlichen Beurteilung, dass den Polizisten die Rechtswidrigkeit ihrer Tat hätte klar sein müssen, zumal es »nicht sicher feststeht, ob die Polin überhaupt jemals geplündert hat«. Gegen die Überzeugung angeblicher Rechtmäßigkeit spreche vor allem die Verschleierung der Tat. Aber: Als untergebene Beamte hätten sie in zwölf Jahren Nationalsozialismus gelernt, Befehle widerspruchslos auszuführen. Beide hätten zudem die »Rechtswidrigkeit des Tötungsbefehls nicht erkannt«. Gegen den Kriminalrat wurde nie ermittelt. Das Verfahren gegen den direkten Vorgesetzten wurde eingestellt. O. war Mitglied von SS und Gestapo.

Quelle: Schweinfurter Tagblatt vom 25. 3. 2004, Hannes Helferich


Vollmond über Schweinfurt

Vollmond über Schweinfurts Dächern
strahlt auf arm und reich,
über Schläfern über Zechern
scheint für alle gleich.

Er schien auch für ein junges Mädchen
mit langen braunen Haarn
das man verschleppt aus seinem Städtchen
vor über 70 Jahrn.

Zofia Malczyk aus Raschin, Polen,
Zwangsarbeit bei Wasser und Brot;
dem Lager entflohn, aus Hunger gestohlen,
das war ihr sicherer Tod.

Sie war achtzehn, schwanger und wollte leben,
doch sie traf auf Feindschaft und Hass;
ihr wurde keine Chance gegeben,
sie hatte den falschen Pass.

Zwei übereifrige Polizisten,
auch in Zivil noch tief braun,
in Aktentaschen die Todeslisten

von Männern, Kindern und Fraun.

Sie führten Zofia durch die Stadt,
das Urteil war beschlossen,
sie wurde, weil sie gestohlen hat,
auf offener Straße erschossen.

Die Täter wurden nie bestraft
und konnten ruhig schlafen,
für kollektive Täterschaft
gabʼs keinen Paragraphen.

Die Spuren sind fast ganz verweht,
weil wir vergessen hatten;
doch wenn der weiße Vollmond steht,
sieht man Zofias Schatten.

Helga Frauenfeld
Schweinfurt, Januar 2009

Besuch von ukrainischen Zwangsarbeitern

Ehemalige Fremdarbeiter aus der Ukraine zu Gast
„Wir wurden mit 17 Jahren nach Schweinfurt verschleppt.“

Ehemalige ukrainische Zwangs­arbeiter waren im Mai 2003 noch einmal in Schweinfurt. Damals, 1942 wurden sie als Jugendliche aus ihrer Heimat nach Schweinfurt verfrachtet um die kriegs­wichtige Produktion aufrecht zu erhalten.

Die Initiative gegen das Vergessen hatte es ermöglicht, die fünf einzuladen

Wenn Sie auf die einzelnen Namen der Zeitzeugen klicken, können Sie deren Erinnerungen lesen.


Es gab beeindruckende Schulbesuche und wir führten Interviews durch, um das zu erhalten, was die fünf wussten.

Sonntag, 25.05.2003: Ankunft der Besucher aus der Ukraine am Sonntag auf dem Flughafen in Frankfurt, Fahrt nach, Unterbringung in Schweinfurt.

Montag, 26.05.2003: Offizieller Empfang der ehemaligen Zwangsarbeiter am Vormittag. Stadtrundfahrt am Nachmittag. Geselliger Abend mit den Mitgliedern der Initiative.

Dienstag, 27.05.2003: Ärztliche Routineuntersuchung am Vormittag. Führung durch eine Firma am Nachmittag. (möglichst ehemalige Arbeitsplätze)

Mittwoch, 28.05.2003: Geschichtsstunde mit Schülern und den ukrainischen Zwangsarbeitern am Vormittag.

Donnerstag, 29.05.2003: Gottesdienstbesuch am Feiertag. Besuch des Friedhofs. Ausflug in die Umgebung, Besuch eines Bauernhofes mit Stall- und Maschinenbesichtigung, Brotzeit.

Freitag, 30.05.2003: Geschichtsstunde mit den Schülern an einem Schweinfurter Gymnasium und den ukrainischen Zwangsarbeitern am Vormittag. Einkleiden der alten Menschen bei der Caritas. Geselliger Abend im Seniorenclub.

Samstag, 31.05.2003: Stadtbummel, Einkäufe, Souvenirs. Interkulturelle Begegnung in der Kirchengemeinde Dreieinigkeit, in der viele Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion leben - Abschiedsgottesdienst und Abschiedsabend.

Sonntag, 01.06.2003: Abflug der ukrainischen Gäste in Frankfurt.

Leonardo Calossi

Rede von Leonardo Calossi anlässlich der Vorstellung des Buches »Anmerkungen zu einer Internierung in Deutschland 1943–45« am
13. März 2003 in der Rathausdiele in Schweinfurt


CC65»Die Rückkehr an den Ort, an dem sich ein Teil meines Schicksals als Militärinternierter oder Kriegsgefangener, wie auch immer man es nennen möchte, ereignet hat, hat mich sehr bewegt – auch nach so langer Zeit. Tausende Erinnerungen sind mir ins Gedächtnis gerufen worden.

Ich hätte nie gedacht, dass ich Schweinfurt und Franken in diesem Alter noch einmal wiedersehen würde.

Als mich Herr Manfred Teuben um meine Zustimmung zu dem »Buchprojekt Calossi« gebeten hat, habe ich den Vorschlag sehr gerne angenommen; ja, die Wertschätzung, die meiner bescheidenen Arbeit so zu Teil wurde, hat mir eine große Freude bereitet.

Die erste Auflage der »Anmerkungen« in italienischer Sprache war beinahe zufällig entstanden. 1986 fand in Florenz ein Kongress über das Schicksal der italienischen Militärinternierten in Deutschland statt. Bei diesem Anlass bedauerte Professor Rochat, Leiter des Historischen Seminars an der Universität Turin, u. a. die Tatsache, dass nur sehr wenige Unteroffiziere und einfache Soldaten über ihre Gefangenschaft in Deutschland geschrieben hatten. Diese Bemerkung des Gelehrten regte mich dazu an, mein eigenes Schicksal zu überliefern, meine persönliche Odyssee zu erzählen. Instinktiv hielt ich es für angemessen, meinen Bericht so vollständig wie möglich zu gestalten und mich nicht auf tadelnswerte Episoden zu beschränken. So entstand also die detaillierte Geschichte darüber, wie ich Italien 1941 von Brindisi aus verließ und wie ich 1945 über den Brenner dahin zurückkehrte, nach einer Irrfahrt über den halben Kontinent. Ich hielt es auch für sachdienlich und wichtig zu erklären, warum ich am 8. September 1943 in Albanien war, wie ich durch die deutschen Truppen gefangen genommen und in die Lager der Nazis deportiert wurde und welche Arbeit mir beinahe zwei Jahre lang auferlegt wurde.

Über die Internierung von 600.000 italienischen Soldaten, von denen 40.000 nicht nach Hause zurückkehrten, ist eine ziemlich episodenhafte Literaturproduktion entstanden, die beinahe ausschließlich die unmenschliche Behandlung thematisiert, die einem ganzen in Ungnade gefallenen Heer zu Teil wurde, einer ungeheuren Menge junger Menschen in der Blüte ihrer Jahr, die sich einzig der Tatsache schuldig gemacht hatten, mit »Nein« auf die eindringlichen Aufforderungen, der Repubblica Sociale Mussolinis beizutreten, geantwortet und so einen ersten Akt des »Widerstandes« gegen die aufgezwungenen antidemokratischen Ideologien geleistet zu haben, gegen die sogenannte »neue Ordnung«.

Ich halte die Initiative, meine »Anmerkungen« in Ihre Sprache zu übersetzen, für äußerst lobenswert. Meine Anerkennung gilt Herrn Klaus Hofmann und seiner Gruppe. Sie haben ihre Arbeit mit viel emotionaler Anteilnahme und mit Leidenschaft durchgeführt, in dem ehrenwerten Vorsatz, einen dramatischen und erschütternden Abschnitt der Geschichte zu erinnern und bekannt zu machen.

Von dem Enthusiasmus, mit dem seine Gruppe das Projekt vorangetrieben hat, konnte ich mich am 26. Mai 2002 überzeugen, als wir uns in Florenz trafen, um gedanklich in die dunklen und traurigen Jahre des Krieges zurückzukehren. Wir haben von der Internierung in den Lagern, der Zwangsarbeit, den unmenschlichen Leiden, der Aufhebung moralischer Werte, dem Entzug von Freiheit und von der mit Füßen getretenen Menschenwürde gesprochen. Daher sage ich Herrn Hofmann und seinen Freunden Dank dafür, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die das ungünstige Schicksal besiegt hatte.

Leonardo-lchelndDie Zeit vergeht, doch noch heute habe ich lebendige Erinnerungen an die zwischen Gitterzäunen verbrachten Tage vor Augen. Ich sehe mich wieder gegen den heimtückischsten aller Feinde kämpfen, den Hunger. Ich sehe mich wieder als Person zu Grunde gerichtet, missbraucht, erniedrigt. Ich sehe mich wieder wehrlos, zur völligen Machtlosigkeit gegen eine solche Degradierung verurteilt. Ich höre wieder das Klappern der Viehwaggons während der unendlichen Reise durch halb Europa. Angesichts der ungewissen Zukunft hatte ich mir ein einziges Ziel gesetzt: die Gefangenschaft um einen Tag zu überleben, um zu meiner geliebten Familie, in meine Heimat zurückkehren zu können.

Die Gesundheit verschlechterte sich in beängstigendem Maße, ich fürchtete das Schlimmste. Aber, so seltsam das auch scheinen mag, ich hatte weniger Angst vor dem befreienden Tod als vor der beklemmenden Idee, als anonymer Körper in ein Massengrab geworfen zu werden, ohne Erinnerung und ohne geistlichen Beistand. Ich muss zugeben, dass ich vom Wohlwollen des Schicksals, aber vor allem auch von einem starken Körper und einem festen Lebenswillen aufrecht erhalten wurde.

Heute, nachdem der Nachhall der Katastrophe abgeklungen ist, können wir in Ruhe und Frieden und mit größerer Ursachenkenntnis über das nachdenken, was geschehen ist, über den Sturm, der über uns hinweggefegt ist, diesseits und jenseits der Barrikade.

Man sagt, die Geschichte sei eine Lehrmeisterin. Nun, wenn sie tatsächlich Lehrerin für unsere Zukunft ist, machen wir die furchtbare Lektion, die sie uns in jenen Jahren des kollektiven Wahnsinns erteilt hat, zu unserem geistigen Besitz! Gehen wir guten Mutes und mit Verantwortungsbewusstsein, mit Achtung vor dem Menschen - vor einem jeden Menschen, mit Gerechtigkeitssinn und Liebe ans Werk und lassen wir die Begabung des Menschen erstrahlen, jenes denkenden Wesens, das zum moralisch und materiell Guten tendiert!

Ich habe die Odyssee der Gefangenschaft in den Lagern und den Arbeitslagern nicht vergessen, aber in mir sind weder Hass noch Rachegefühle, auch wenn ich an die 40.000 Landsleute denke, die elend zugrunde gegangen sind und an Tausende junger Menschen, die nach ihrer Rückkehr in die Heimat allzu früh verstorben sind, hingestreckt von den Krankheiten, die sie sich an den traurigen Orten zugezogen hatten.

Die Geschichte selbst beobachtet und verzeichnet gewissenhaft jede Tat, ohne irgend etwas auszulassen: sie rühmt Heldentaten, verurteilt Untaten und unvorstellbare Grausamkeiten. Ich denke, dass es richtig ist, die dramatischen Ereignisse bekannt zu machen, die so viele vom Begriff der Ehre getriebene junge Menschen erleiden mussten, welche sich an den geschworenen Eid hielten.

Mein Alter – 89 Jahre sind nicht wenige – erlaubt mir, die Geschehnisse auf der Welt von oben zu betrachten, objektiv die täglichen Ereignisse zu bewerten. Aber ich bin ruhig, und ich wünsche diese Ruhe einem jeden von Ihnen, wie ich Ihnen allen Glück und Zufriedenheit durch Erfolge wünsche.

Ich möchte Sie herzlich grüßen und Ihnen nochmals dafür danken, meiner Schrift Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, vor allem aber dafür, mich in das verdienstvolle Unternehmen einbezogen zu haben, das nicht ins Vergessen geraten zu lassen, was eines Tages geschehen ist.«