Vitaly Melichov

Aus dem Brief vom 17. Mai 2000 von Vitaly Melichov, geb. 1924, (wurde

4-Zwangsarbeiter

mit 19 Jahren nach Deutschland verschleppt)

Am 3. März 1942 befahlen die deutschen Behörden die Evakuierung der Stadt Kramatorsk und zwar der gesamten männlichen Bevölkerung.

Wir kamen in Güterwaggons unter Bewachung deutscher Soldaten ... und erklärten uns, dass wir nach Deutschland zur Arbeit gebracht würden. Der Zug kam bis zur Stadt Lublin in Polen. Dort trieb man uns in ein Lager wo wir uns einer medizinischen Untersuchung unterziehen mussten. Darauf verlud man uns wieder in Waggons und brachte uns ins Lager Hammelburg wo ein großes Sammellager war.

Innerhalb einiger Tage kamen die Vertreter etlicher deutscher Firmen (SKF, Fichtel & Sachs,..) aus Schweinfurt, Nürnberg und anderen Städten hierher. Bald kauften uns die Beauftragten dieser Firmen auf ... und unter Bewachung brachte man uns nach Schweinfurt in die Firma VKF (SKF) wo ich begann als Schleifer in der Abteilung für Außenringe für Kugellager zu arbeiten. Damals waren wir alle sehr hungrig und arbeiteten jeweils 12 Stunden, von crei Uhr nachts bis drei Uhr nachmittags. Der Sonntag war für uns ein Tag zum Ausruhen.

Bald begann aufgrund dieser schwierigen Bedingungen eine Distrophie. Mein Körper begann anzuschwellen, besonders die Beine. Die Fabrik Nr. 1 befand sich in der Stadt, das Lager am Rande, am Ufer des Flusses Main. Aber die Bewachung und der Konvoi trieb uns mit Gewalt zur Arbeit und wir wurden immer begleitet von Schimpfworten und wir fürchteten uns ... Bald wurde ich ganz schwach und man verlegte mich in die Krankenabteilung, aber dort konnten sie mich nicht lange behalten und haben mich wieder entlassen obwohl ich noch krank und schwach war.

Ende Februar wurde auf Schweinfurt ein starker Luftangriff durchgeführt. Viele Objekte wurden damals zerstört, darunter unsere Wohnbaracken im Lager. Viele Leute kamen damals um. Ich, wie auch viele Hunderte befreiten sich aus Angst aus dem Lager und rannten irgendwohin. Ich fand mich gegen morgen 20 Kilometer von Schweinfurt entfernt. Dort arbeitete ich in einem Steinbruch mehr als einen Monat und dann wurde ich wie viele andere von der Feldgendarmerie entdeckt und wieder in mein Lager zurückgebracht.

Die Fabrik Nr. 1 war schwer zerstört und in meiner Werkhalle gab es nicht mehr viele Werkzeugmaschinen.

Man schickte einige von uns aus Schweinfurt weg um in der Stadt Neckarsulm zu arbeiten – wo eine unterirdische Fabrik – eine Filiale der Firma SKF – existierte. Dort arbeitete ich bis zur Ankunft der amerikanischen Truppen.

Im August 1945 gelangte ich endlich nach Hause in die Stadt Kramatorsk zu meiner Familie. Hier erfuhr ich durch meinen Vater, dass mein älterer Bruder am 31. März 1945 auf deutschem Gebiet gefallen und dass die Mutter danach am erlebten Leid gestorben war. Doch damit hörten meine Qualen nicht auf.

Die sowjetischen Behörden in Form der Organe des NKWD (Geheimdienst) verhielten sich feindselig uns gegenüber, weil wir entlassen worden waren als jemand, der für die Wehrmacht gearbeitet hatte. Diese Organe bemühten sich uns alle zu den gefährlichsten und schwersten Arbeiten zu schicken, zum Wiederaufbau zerstörter Industrieanlagen.

Wenn Sie noch irgendwelche Fakten benötigen schreiben Sie mir und ich werde mich bemühen, mich zu erinnern und zu antworten.

Aber ich würde gerne noch einmal Schweinfurt besuchen, um zu sehen wie es heute ausschaut und seine Einwohner zu treffen, besonders jene – nicht sehr viele – die sich an die Kriegsjahre erinnern.

…dies wurde für Vitaly Melichov und vier weitere ukrainischen Menschen Wirklichkeit. Im Mai 2003 lud unsere Initiative fünf ehemalige ukrainische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nach Schweinfurt ein.
Siehe »Besuch von ukrainischen Zwangsarbeitern in Schweinfurt«


Befragung von Vitaly Melikov

Vitaly: Am 23. Februar im Jahre 1944 hatte die Stadt Schweinfurt sehr stark unter den Bombenangrif­fen gelitten.
Es wurde pro Tag 3 mal bombardiert, ich kann mich so ganz gut daran erinnern daran, es war etwa am Mittag und dann am Abend, und dann noch mal in der Nacht.

Unser Lager befand sich direkt am Main und von einer Seite dieses Flusses waren diese Schutzanlagen, das waren solche FLAK, die Stadt war schon total zerstört von Bombenangriffen, deswegen die Flugzeuge, die das eigentlich bombardieren sollten, waren nicht an der Stadt interessiert, weil die Stadt schon total zerstört war die haben nur diese Flak-Stellungen bombadiert
Es war wirklich eine richtige Hölle, kann man sagen.

Es sind natürlich deswegen viele Kriegsgefangene, viel Italie­ner, Russen, also viele Menschen sind umgekommen.

Ich war glücklicher Mann. Ich bin fortgelaufen.Die ganze Nacht.

Nach Vasbül bin ich gelaufen. Da waren auch sehr viele Flüchtlinge in dem Dorf.

VitalyKlaus: Deutsche Flüchtlinge oder Zwangsarbeiter?
Vitaly: Alle, alle Nationalitäten, am meisten waren es die Ausländer.
Dort waren auch sehr viele Zwangs­arbeiter, die in Bauernhöfen gearbeitet haben, also direkt beim Bauern. Es war ein Mann in diesem Dorf, er hat bei diesem Steinbruch gearbeitet, und er hat die Flüchtlinge einfach abgeholt für die Arbeit in diesem Steinbruch.

Wir wurden auch dort untergebracht es war nicht legal und wir sind dort geblieben um dort zwangszuarbeiten, weil wir wollten gar nicht zurück nach Schweinfurt

M.: Darf ich dazwischen fragen, der Mann, der sie abgeholt hat, war das der Chef des Steinbruches oder war es ein Man von der Partei oder der Bürgermeister?
Vitaly: Er war Inhaber er war ein Deutscher und er war ein sehr guter Mensch. Es war verboten, mit den Flüchtlingen was zu tun zu haben, und deswegen war es ein großes Risiko für den Man aber trotzdem hat er diese Leute untergebracht und hat die Arbeit gegeben und sogar diese Brotkarten und noch irgendwelche Karten für Lebens­mittel. Herr Sepp, das war der Name von dem Meister, an den Namen von dem Inhaber kann ich mich nicht mehr erinnern.

Klaus: Wir werden noch einmal nach Vasbühl fahren.

Vitaly: 60 Jahre vorbei (lacht)
My rabotajet fleißig (Wir haben sehr fleißig gearbeitet) alles gut. (deutsch)

Nach 4 Monaten wurden wir von Polizisten erwischt und wurden wieder nach Schweinfurt gebracht und wir sind mit solchen Autos das waren Lastwagen nach Scheinfurt gefahren.

Klaus: Kurze Frage, die Lebensverhältnisse waren in Vassbühl wahrscheinlich viel besser vom Essen und von allem?
Vitaly: Das war ausgezeichnet im Vergleich zu Schweinfurt.

Vitaly: In diesem Steinbruch habe ich verschiedene Ringe und auch Schleifsteine gemacht.
Wir wurden nach der Rückkehr nach Schweinfurt auch befragt von Polizisten von diesen Behörden, wo jeder von uns gearbeitet hat, vorher, auf solche Weise wurden wir wieder verteilt.
Wir wurden auch geschlagen, also gleich schon in der Fabrik.

Klaus: Bei welcher Gelegenheit?
Vitaly: Das war dafür, dass wir entflohen waren.

Vitaly: Bei Obermeister Karl Götz habe ich dann gearbeitet. Das war böser Man, das war ein Tier. Als er mich ansah...
Und er hat gefragt: Wo warst Du denn? Ich antwortete: ich hatte Angst. Und ich habe einfach alles erzählt, was mir alles passiert war, das es eine Bombadierung war und ich bin entflohen, ich bin weg gelaufen einfach aus der Stadt usw.

Er sagte zu mir: „Du Lump, Du verreckter, du Hund. Wenn du Angst vor den Bombenangriffen hast, dann finde ich für dich einen sehr ruhigen Platz.”

Wir waren heute als kleine Gruppe zusammen in Vasbühl, wo Sie damals im Steinbruch gearbeitet haben. Wir wollten Ihrer damaligen Jugendliebe nachspüren. Wie war das heute?
Ich hatte anfänglich Hemmungen. Es hat sich in den 60 Jahren ja einiges geändert. Aber wir haben heute großes Glück gehabt. Ich habe eine Frau getroffen, die ich kannte.
Im Krieg hatte ich neben einer Bäckerei gewohnt. Der Bäcker hieß Schorsch und die Tochter Inge. Ich hatte vermutet, daß der Bäcker schon lange gestorben sei. Inge war damals zwölf Jahre alt. Und heute sagten Leute in Vasbühl: die Inge wohnt noch hier. Und Inge hat gesagt, daß Josefine, meine Liebe in Frankfurt wohnt.

Wir waren sehr glücklich, als wir das hörten. Ich bin froh, dass ich schon die Hälfte von dem gefunden, was ich gesucht habe. Sie hat Fotos gezeigt, wir haben zusammen was getrunken und es war sehr schön. Jetzt ist sie eine Großmutter, damals war sie 12 Jahre alt. Aber ich habe sie erkannt. Ich hoffe und wünsche. dass Inge die Adresse von Josefine rausbekommt und mit zuschickt. Ich denke, dass ich zwar nicht mehr nach Deutschland komme, aber ich kann dann Briefe schreiben.

Wenn ich Josefine finde, will ich mich entschuldigen, weil ich ihr damals versprochen habe, dass ich in Deutschland bleibe. Ich habe es versprochen und sie hat mir geglaubt. Jetzt will ich ihr schreiben, dass ich damals einen wichtigen, ernsten Grund hatte, nicht in Deutschland zu bleiben. Ich werde ihr das dann schreiben.

Das war die kurze Geschichte.
(Melichov singt ein Lied, das er damals von Josefine lernte)