Reden von OB Sebastian Remelé

Begrüßung der Gäste am 22. September 2011
im Rathaus der Stadt Schweinfurt


Liebe Zeitzeugen mit ihren Familien und Begleitern aus der Ukraine, Polen, Belgien, Frankreich und Italien, liebe Gäste,

als Oberbürgermeister begrüße ich Sie persönlich und im Namen der Stadt Schweinfurt ganz herzlich in unserer Schweinfurter Rathausdiele.Danke, dass Sie gekommen sind, danke dass Sie offen sind für diesen gemeinsamen Dialog. Sie gehören zu den wenigen Überlebenden, die mit uns über ihre Erlebnisse sprechen können. Und es ist mir eine Herzensangelegenheit auf Ihre persönlichen Schicksale einzugehen, soweit diese mir bekannt sind. Ich danke der Gruppe „Initiative gegen das Vergessen“, die seit November 1999 in Schweinfurt die Schicksale der über 10000 Zwangsarbeiter, die in den Jahren 1942 bis 1945 hier in Schweinfurt zur Arbeit gezwungen worden sind, recherchiert, für diese Informationen. Die Mitglieder der Initiative befragten Zeitzeugen.

Besonders begrüßen möchte ich Sie Frau Janina Szymanik. Sie kamen 1943 als Sechsjährige mit ihrer Mutter nach Schweinfurt ins Lager Obern­dorf. Ihre Mutter musste bei Kugelfischer in der Kontrolle arbeiten, Sie als Kinder blieben in der Unterkunft. Die Fabrik wurde oft bombardiert. Gegen Kriegsende wurde nicht nur die Fabrik, sondern auch das ganze Lager in Oberndorf bombardiert. Ihre Mutter floh mit Ihnen in den Wald, wo sie die Nacht verbracht haben. Als Sie am nächsten Morgen zurückgingen, um Lebensmittelkarten abzuholen, wunderte man sich, dass Sie am Leben waren, denn das Lager Oberndorf lag in Schutt und Asche. Später musste Ihre Mutter ca. ein halbes Jahr lang bei einem Bauern arbeiten. Auch Sie Frau Szymanik mussten mitarbeiten. 1947 kamen Sie als Zehnjährige zurück nach Polen. Wir können uns vorstellen, dass es furchtbare Erinnerungen sind, die Ihnen aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben sind.

Besonders begrüßen möchte ich weiterhin Frau Michenaud, Frau Salmon und Frau Cottais, die Töchter des französischen Kriegsgefangen Louis Beilvert mit ihren Ehegatten. Ihr Vater wurde im Juni 1940 als 27 Jähriger gefangen genommen. Er arbeitete bei Fichtel & Sachs. Seine Unterkunft befand sich in Gochsheim und der tägliche Weg zur Fabrik musste zu Fuß zurückgelegt werden. Aufgeteilt in Kommandos von 80 bis 100 Männern wurde ihr Vater den ganzen Weg über von bewaffneten deutschen Soldaten bewacht. Kurz vor Ende des Krieges wurde Louis Beilvert in den Sanitäts­dienst ins STALAG versetzt. Herr Beilvert war vor einigen Jahren schon in Schweinfurt und Gochsheim und ist inzwischen verstorben.

Weiterhin begrüße ich Gäste aus der Ukraine:
Herzlich Willkommen Volodymyr Zamorskyi (geb. 1928).Sie wurden 1942 als 14 Jähriger in Kiew aufgegriffen, nach Deutschland verschleppt und zunächst in der Landwqrtschaft in Ottendorf eingesetzt. Ihre Mutter wartete vergeblich darauf, dass Sie nach der Schule nach Hause kommen würden und machte sich auf die Suche. Sie erfuhr, dass Sie nach Deutschland gebracht wurden. Durch die Suche geriet Ihre Mutter selbst, eine Ärztin, in den Fokus und wurde ebenfalls nach Deutschland geschickt. Sie arbeitete von 1942–1945 in einer Sanitsätsstelle bei VKF. Nach mehreren Bitten gelang es ihr, dass Sie ab 1944 ebenfalls zu VKF kamen.
Herzlich willkommen Iwan Kulisch (geb. im Januar 1945) Mitglieder der Initiative gegen das Vergessen haben Ihre Mutter Natalia Kulisch 2007 in der Ukraine besucht und interviewt. Sie ist heute 92 Jahre als. Natalia Kulisch wurde 1942 nach Schweinfurt gebracht und arbeitete bei VKF an einer Werkbank. Sie lernte einen anderen Zwangs­arbeiter kennen und wurde schwanger. Iwan kam im Januar 1945 im Lager VKF zur Welt. Die Mütter passten im Schichtwechsel auf ihre Kinder im Lager auf.

Herzlich willkommen Borys Zemliany (geboren im Januar 1946) Ihre Mutter Ljubow Zemliana (geboren 1924) ist inzwischen verstorben. Sie wurde 1943 zur Arbeit in einem Kugellagerwerk nach Schweinfurt gebracht. Hier lernte sie den Zwangsarbeiter Iwan kennen von dem sie schwanger wurde. Das erste Kind durfte sie nicht behalten. Sie sind das zweite Kind aus dieser Verbindung und sie kamen nach der Rückkehr in die Ukraine zur Welt. Der Kontakt zu ihrem Vater Iwan, der zu seiner Vorkriegsfamilie zurückgekehrt ist, blieb einige Jahre bestehen.

Herzlich willkommen Oksana Nykolaychuk (geboren 1969) als Mitarbeiterin der Ukrainischen Natonalstiftung in Kiew. 2007 begleiteten Sie zwei Mitglieder der Initiative gegen das Vergessen zu Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern bzw. Zeitzeugen in der Ukraine. Wie ich hörte, hat die Initiative gegen das Ver­gessen alle Verbindungen und Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern aus der Ukraine Ihrer Rührigkeit und der Unterstützung der Ukraini­schen Nationalstiftung in Kiew zu danken. Herzlichen Dank Ihnen und den Dolmetschern.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in den nächsten Tagen positive Eindrücke in Schweinfurtt sammeln können.


Rede am 25. September 2011 am Gedenk-Ort


Sehr geehrte Anwesende ...

„Nimm das Recht weg – was ist dann der Staat nichts anderes als eine große Räuberbande“ hat der Hl. Augustinus einmal gesagt. Wir Deutschen wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberband, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte“, so Papst Benedikt XVI in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am 22. 9. 2011.

Auch in Schweinfurt herrschte 1933 – 45 dieser Ungeist des Unrechts. Und die Opfer sind heute hier unter uns.

Auch die Stadtverwaltung selbst war Teil dieser „gut organisierten Räuberbande“ gewesen. 258 Kriegsgefangene und 138 damals sogenannte Ostarbeiter wurden durch die Stadtverwaltung zur Beseitigung von Bombenschäden und bei Luftschutzmaßnahmen eingesetzt, wie sich aus den Zahlen unseres Stadtarchivs ergibt.

Wenn auch Schuld nach meiner Auffassung stets individuell begangen wird und festgestellt werden muss, sich der Gedanke einer Kollektivschuld somit verbietet, so trägt ein Volk als Schicksals­gemein­schaft wohl aber eine kollektive Verantwortung.

Dieser Verantwortung vor Gott und den Menschen sind wir in den Jahren des nationalsozialistischen Terrors nicht gerecht geworden. Vielmehr hat ein Großteil unserer Landsleute vor dem Unrecht seine Augen verschlossen, es geduldet oder gar vollstreckt.

Auch die Verwaltung der Stadt Schweinfurt leistete hierzu ihren Beitrag. Als Oberbürgermeister, der seine Stadt und sein Land liebt, empfinde ich bei diesem Gedanken tiefe Scham, stehe ich doch zumindest geschichtlich betrachtet auch in einer Generalsukzession meiner Vorgänger.

Ich will aber auch nicht über die Generation richten, die in den Schreckensjahren 1933 – 45 gelebt hat.Das wäre hochmütig und anmaßend für einen Vertreter meiner Generation, die nur Freiheit, Frieden und Wohlstand kennengelernt hat. Hätte ich, hätten Sie, hätten wir damals zu Helden getaugt?
Ich halte nichts von dem Begriff „Vergangen­heits­bewältigung“, schon das Wort ist supekt. Als ob man Vergangenes bewältigen könnte.

Unsere Aufgabe und vornehmste Pflicht muss vielmehr darin liegen, uns unserer Vergangenheit stets zu erinnern und die richtigen Lehren aus ihr zu ziehen, damit unser Land nie wieder so tief sinkt, wie unter dem Regime dieser nationalsozialistischen „Räuberbande“.

Für ihren Beitrag, Vergangenes nicht in Vergessen­heit fallen zu lassen, möchte ich der „Initiative gegen das Vergessen“ ausdrücklich danken, der wir die Errichtung dieses Gedenksteines verdanken.

Danken möchte ich aber auch unseren Schwein­furter Unternehmen, den Firmen SKF, Schaeffler, ZF Sachs und Bosch-Rexroth, für die ich hier ebenfalls sprechen darf. Sie haben nicht nur den entscheidenden finanziellen Beitrag für diese Gedenkstätte geleistet, sie stellen sich damit bewusst auch dieses Zeitabschnittes ihrer Firmengeschichte.

Ihnen allen möchte ich für Ihr Kommen danken. Kämpfen Sie mit mir gemeinsam dafür, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät und wir die rechten Lehren daraus ziehen.