Befragung von Mykola Artemenko

45 Kilometer von Dnjeprpetrovsk ist mein Heimatdorf. Im September ist die deutsche Wehrmacht gekommen. Zwei Monate ist die Front am Dnjepr stehen geblieben. Ich wohnte auf der östlichen Seite des Dnjepr.

MykolaEinschließlich dem Jahrgang 23 waren wir in die sowjetische Armee einberufen worden. Bei uns in der Nähe gab es Dörfer, die deutsch waren. Und von einem dieser Dörfer der Bürgermeister mußte die Meldungen machen hinsichtlich der Jahrgänge. Man fing an mit dem Registrieren der Jahrgänge 25/26. Er war verpflichtet gegenüber den deutschen Behörden. Der Bürgermeister mußte jeden melden.

Der 20. April war der Tag, an dem uns die ukrainische Polizei zusammengetrieben hat. Ich bin nicht nach Kiev gebracht worden, sondern wir wurden zur nächsten Bahnstation getrieben, wo schon Züge zusammengestellt waren. Die gedeckten Waggons hatten kleine Fenster, die mit Stacheldraht vergittert waren.

Die ukrainische Polizei hat uns bis dorthin gebracht. Vom Zug an waren Deutsche da, die uns bewachten. In Lublin (Ost­polen) dann war eine Art Sammelstelle. Von dort aus wurden wir dann verteilt. Ich kam von dort aus direkt nach Schwein­furt. Es gab in Lublin ein Gefangenenlager mit sowjetischen Kriegsgefangenen und dort hinein wurden wir gebracht. Wir konnten uns ein bißchen säubern und es gab Brot, das in ein Faß mit Flüssigkeit geworfen wurde. Das aßen wir. Wir hatten ja im Zug nichts zum Essen gehabt. Da hat man dann eine Mütze oder so was genommen und das durchweichte Brot rein und gegessen.

Haben die deutschen Behörden denn nicht geworben, sich freiwillig für die Arbeit in Deutschland zu melden?
Es hat viele Fälle von Freiwilligen gegeben. Aber nur die erste Zeit. Aber dann hat man ja auch Briefe bekommen von denjenigen, die schon in Deutschland waren. Alle 2 Monate durften sie einen Brief schreiben. Aber wenn jemand etwas unrechtes geschrieben hat, war die Zensur so streng, daß das alles durchgestrichen war.

Diese zensierten Briefe waren eigentlich der erste Anlaß dafür, daß niemand mehr freiwillig gehen wollte. Und dann hat man die Jugendlichen unter Zwang zusammengetrieben. Es hat ein Revier, ein Krankenlager gegeben. Und der Lagerleiter hatte die Aufgabe die Schwächsten, Kranke oder diejenigen, die Betriebsun­fälle hatten, die z.B. starke Verletzungen hatten, Finger ab oder so, auszusondern.

Die hat man dann zusammengeholt und sie in Todeslager geschickt. Ich bin einmal zu diesem Lager­leiter gerufen worden ohne zu wissen warum. Aber durch einen Zufall hatte ich von einem älteren Ukrainer erfahren, was der bemerkt hatte. Die Schwachen, die ausgesondert wurden kommen ins Krematorium, hatte er mir gesagt.

Und der ältere erklärte mir auch, was ich tun mußte. Du mußt zu dem Leiter hin und sagen, daß du lieber hier im Lager bleibst. Aber du muß ihm das so sagen, daß er nicht merkt, daß du vom Todeslager weißt. Du mußt das so sagen, daß du bei deinen Kameraden bleiben willst, bei deinen Landsleuten hier.…

Und auf diese Art und Weise ist es mir gelungen – ich war nämlich schon früher mal im Revier gewesen und damals sagte der Lagerleiter mir: nun gut, du darfst bleiben, aber wehe wenn du noch mal ins Revier kommst, dann lasse ich dich nicht mehr hier bleiben. Ich bin am 25. Dezember geboren, habe also mehrere Schutz­engel. Und das war so eine Situation, wo ich Glück gehabt habe.

Wohin mußten oder konnten die Zwangsarbeiter bei einem Bombenangriff?
Es war ein Durcheinander. Alle sind durcheinandergelaufen. Es hat z.B. ein Toilettengebäude gegeben. Im Untergeschoß von der einen Seite für die Deutschen, von der anderen Seite für die Russen und Ukrainer.

Und ich bin in dieses Gebäude bei Bombenalarm hineingekommen und habe mich in eines diese Abteile eingesperrt. Aber es ist einer gekommen und hat alle rausgeworfen. Ich habe noch einen Fußtritt bekommen. Aber mir ist es gelungen, danach in so einen Schutzbunker zu gelangen und als die Bombardierung zu Ende war, ging ich raus und habe gesehen, daß diese Toilettengebäude einen Volltreffer bekommen hatte. Es war wieder ein Wunder, daß ich überlebt habe.

Der dritte Schutzengel war ein deutscher Arzt. Ich war sehr krank und dieser Arzt hat mir nochmal das Leben gerettet. Der erste Schutzengel also war dieser ältere ukrainische Häftling, der mir die richtige Verhaltensweise bei Krankheit erklärt hatte.

Wie lief das bei Ihnen mit der Entschädigung?
Bei der Entschädigung gibt es vier Kategorien.
Die schlimmste Stufe haben diejenigen, die im KZ waren. Die haben 15000 DM bekommen sollen. Die zweite Kategorie sind die Schwerstar­beiter, die in KZ-ähnlichen Umstän­den arbeiten mußten. Diese sollten 10 bis 12000 DM bekommen. Die dritte Kategorie sind diejenigen, die in einem Betrieb beschäftigt waren, also schon etwas bessere Bedingungen hatte. Die vierte, also die beste Kategorie schließlich ist die Landwirtschaft.

Bei meinen Beschwerden hinsichtlich der Entschädigung sagte ich: Wenn ihr mir nicht glauben wollte. Es sind doch genug Zeugen da, die mit mir zusammen im Lager waren. Die könnt ihr doch auch fragen. Die können das bestätigen, unter welchen Umständen wir leben mußten.

Vitaly Melichow, der zu unserer Gruppe gehört, war im gleichen Lager wie ich, aber wir haben uns hier erst nach 60 Jahren kennen gelernt.

Anfang 1943 kam ich ins Sudetenland … bei Bauern … dort ist es uns besser gegangen … man bot sich beim Bauern an, ich kann dir etwas helfen! … Man war da aufgenommen manchmal wie ein Gast.

Die schönsten Jahre meines Lebens mit 17, 18 Jahren habe ich unter diesem schrecklichen Hitlerregime arbeiten und darben müssen. (er weint) Die Erinnerung ist noch so – wenn ich mich hinlege und die Augen schließe, dann sehe ich alles, was damals war.

Es gab Bombenangriffe, bei denen wir aus lauter Angst die Einzäunung niedergerissen haben. Wir sind aus dem Lager raus und auch in die Gemüsegärten um uns Essen zu holen. Während der Bombenangriffe haben sich auch Gemeinsam­keiten zwischen den einzelnen Nationalitäten ergeben. Und es haben ja auch Deutsche mitgearbeitet. Ältere und Kränk­liche, die nicht an der Front waren. Denn schließlich sind bei den Bombardierungen auch Deutsche umgekommen. Und wenn die Bomben kamen war es gleich, ob du Deut­scher, Ukrainer oder Italiener bist.

Was interessant wäre, wie man sich als so junger Mensch fühlt, wenn man aus seiner Umgebung, aus seinem Land herausgerissen wird?
Wie ein Sklave! So habe ich mich gefühlt! (weitere Antwort unverständlich) Die Allerschlimmsten waren die mit dem Parteiabzeichen. Die einfachen Menschen waren sehr gut zu uns, aber die hatten ja nichts zu sagen. Im KZ saßen ja die Deutschen selber.

Mit 17 hat man ja keinen Überblick über Weltpolitik. Was aber haben Sie oder die Kameraden davon und vom Kriegsverlauf gewußt. Können Sie sich erinnern, was sie mitbekommen haben?
Stalingrad. Das war ein großer Wendepunkt, denn von da an ging es langsam besser. Solche Leute wie Hitler und Stalin sollten gar nicht geboren werden. Ich war auch in sowjetischen KZs. Erst nach dem Tode Stalins wurde es besser.