Aus der Rede von Leonardo Calossi


Liebe Freunde,

die Beschwerden des Alters – 97 Jahre sind nicht wenig – haben mich gehindert, heute in Schweinfurt zu sein bei der feierlichen Einweihung des Gedenk-Orts, der an das Opfer der Zwangsarbeiter unter der Willkürherrschaft Adolf Hitlers erinnert. (…)
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Carlo Calossi verliest die Worte seines Vaters, die dieser zur Übergabe des Gedenkortes geschrieben hat.

Ich war schon einmal in Schweinfurt, im März 2003, als willkommener Gast der ‚Initiative gegen das Vergessen‘ welche die Veröffentlichung meines Buches »Anmerkungen zu einer Internierung in Deutschland 1943 – 1945« in deutscher Sprache betreut hat. (…)

Das sichtbare und dauerhafte Symbol, das heute vor euren Augen ist, erhebt sich als Mahnung für die kommenden Generationen, damit sich derartige verabscheuungswürdige Taten gegen die Menschlichkeit niemals wiederholen.

Während der ganzen Zeit meiner Inter­nierung auf dem Territorium des Dritten Reiches habe ich Zwangsarbeit in der Firma Kugelfischer geleistet. (…)

Unser Tag begann um 4 Uhr 30 und endete gegen 19 Uhr. Mittags gab man uns einen Schöpflöffel Suppe; eine weitere Ration Suppe gab es abends, zusammen mit einem Stück Schwarzbrot, völlig unzureichende Nahrung also.

Viele meiner Landsleute hielten diese Schwierigkeiten nicht durch und ihr Schicksal war das Lager Großrosen: der sichere Tod. (…)

Im Februar 1945, wurde die Fabrikanlage wegen des russischen Vormarsches abgebaut und Betriebsführung und Belegschaft wurden in das Stammwerk nach Schweinfurt gebracht.

Ich nahm die Arbeit an der Drehbank wieder auf, im Bunker, der unter dem Fabrikgebäude angelegt worden war. Die Luftangriffe ließen keine Atempause.

Ein heftiger Luftangriff legte das Fabrik­gebäude in Schutt und Asche, aber die solide Bauweise des Bunkers rettete uns. Am 10. April 1945 kamen die Amerikaner; in dem Moment endete meine Odyssee in Deutschland.

An jenem strahlenden Frühlingstag, fühlte ich meine Seele voller Gefühle von Freiheit, Heiterkeit und innerem Frieden und ich vergaß – wie durch Zauber – die Schrecken der Vergangenheit: ich war wieder ein
denkendes Wesen, nicht mehr nur die Nummer 92753 des Stammlagers VIII/a von Görlitz.

Als ich so dem Leben zurückgegeben war, war die Rückkehr nach Hause nicht mehr eine unsichere Hoffnung, sondern die Gewissheit, die Meinen wiederzusehen und auch die lieblichen Hügel meiner Toskana. In mir erwuchs wieder das Vertrauen, ich begann wieder meinen Nächsten zu lieben gemäß den Geboten des Evangeliums: auch den Nächsten, der verzweifelt und verwirrt in den Trümmern der Stadt umherirrte.

Ich traf einen alten Mann, der mit zitternder Stimme den alten bayrischen Gruß zu mir sagte „Grüß Gott“; er hatte schon das aufgezwungene „Heil Hitler“ vergessen. (…)

Nehmt mein „Grüß Gott“ entgegen, das aus dem Herzen und der Seele eines Mannes kommt, der das Alter der Weisheit erreicht hat. Ja, es ist wirklich eine Freude, die Sonne nach einem wilden Sturm wieder zu sehen: es ist ein großartiges Schauspiel.

Leonardo Calossi
25. September 2011